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Die Verbannten der Feldstrasse, Teil 03

In dem wir mehr von dem erfahren, was Tiscio auf seinen Wanderschafften erlebt hatte.

Tiscio hatte Lente nach einer Respektvollen Verabschiedung gleich darauf verlassen und auf seinem Weg jeden angesprochen, um in Erfahrung zu bringen, wo sich ein Schrein oder Tempel der alten [Götter] befinden mochte. Natürlich wusste er, dass die Wahrscheinlichkeit, dass er so einfach einen Engel herbeibeschwören können würde, eher gering war. Aber es war seine beste Chance, seinem Ziel auch nur näherzukommen.
Tatsächlich war es nicht so schwer, einen Schrein zu finden. Schon in dem Dorf, welches er durchquert hatte, befand sich eine kleine Ruine, überwachsen, aber immer noch als Gebäude zu erkennen, in dem einst Menschen zu irgendeinem Gott gebetet hatten. Fremde Symbole schmückten die teilweise eingestürzten Wände und ein kleiner Altar stand vor einer Öffnung, die vielleicht früher einmal ein Fenster enthalten hatte.
Da ihn der Tag mit seinen Offenbarungen erschöpft hatte, hockte er sich in eine Ecke, die wenigstens noch Teilweise Schutz vor dem Regen bot und zog seinen großen Hut tiefer ins Gesicht.
Er versank in grüblerische Gedanken bis er aufgeschreckt wurde, als eine ältere Frau ein paar Blumen auf den Altar nur zwei Schritte von ihm entfernt legte.
Noch etwas unbeholfen, erhob er sich und sprach die Frau mit leiser Stimme an, um sie nicht zu erschrecken, was sie trotzdem tat.
„Entschuldigt, darf ich Euch fragen, für welchen Gott eure Blumen sind. Ich bin auf der Suche.“
Die letzten Worte klangen selbst in seinen Ohren etwas mysteriös. Wenn er jedoch bedachte, dass er auf der Suche nach überirdischen Wesen war, fand er es angemessen.
„Oh“, stieß die Frau hervor, während sie zurückwich. „Was machst du hier im Schrein?
„Ein paar Leute haben gesagt, dass immer noch Menschen hierherkommen, um den alten Göttern nah zu sein. Ich bin auf der Suche nach einem Engel, wisst ihr?“
„Du hast mich zu Tode erschreckt, Junge.“ Sie atmete ein paarmal ein und aus, bevor sie weiterreden konnte. „Ja, ich bete zu den alten Göttern, Viele lachen darüber, aber was kann es schaden, nicht wahr?“ Sie legte den Kopf schief und betrachtete ihn eindringlicher. „Engel suchst du? Warum suchst du sie? Weißt du nicht, dass sie Boten sind, die gleichermaßen gutes wie böses verkünden?"
„Es ist etwas kompliziert. Ich bin auf der Suche nach einer Frühlingskönigin und Lente sagte mir, ein Engel könnte mir weiterhelfen. Irgendwie glaube ich also auch an die alten Götter."
Er lächelte die Frau beruhigend an, so hofft er zumindest. "Ich stamme nicht aus Zur und weiß so verdammt wenig über die Götter. Mögt ihr mir ein wenig über sie berichten? Bei einem Becher Wein vielleicht? Ich lade Euch auch ein."
„Nein, danke. Mein Mann wartet auf mich. Aber warum sagst du, du glaubst nicht an die alten Götter, wenn du sie nicht kennst? Die Frühlingskönigin, wenn sie denn überhaupt etwas anderes ist, als eine aufdringliche Frau, hat doch nichts mit ihnen zu tun.“
Tiscio zuckte etwas hilflos mit den Schultern. „Weiß nicht. Wollte eigentlich nur sagen, dass ich einfach nicht an sie glaube. Ich weiß nicht, ob es sie gibt, oder nicht. Und ich suche ja auch einen Engel und nicht die Götter.“ Ein wenig fürchtete er, dass er die Gefühle der Frau verletzt hatte, weswegen er ins Brabbeln gekommen war. „Lasst euch bitte nicht aufhalten. Vielleicht finde ich jemand anderen, der mir einen Hinweis geben kann. Ich wünsche euch einen schönen Tag.“
Die Frau schüttelte abwehrend den Kopf. „Vielleicht solltest du dann beten? Ich habe noch nie um einen Engel gebetet, aber dies ist ein heiliger Ort, und wenn die Engel, wie du meinst, ein Überbleibsel des alten Glaubens sind, kannst du vielleicht damit anfangen."
Tiscio nickte der Alten dankend zu und als er schließlich alleine an dem kleinen Altar stand kniete er sich nieder. Er hatte befürchtet, dass es darauf hinauslaufen würde, dass er ein Gebet formulieren müsste. Aber wie? In Xpoch hatte er lediglich nachgeplappert, was der Priester auf der Kanzel ihm vorsprach und Vilet hatte er nie beten sehen.
Was sage ich nur?
Er räusperte sich umständlich, verknotete seine Hände, ließ es dann wieder und berührte nur vorsichtig den Altar.
"Wenn ein Engel meine Bitte hört, dann schenkt mir einen Hinweis, wo ich eine Frühlingskönigin finden kann. Ich möchte ihr dienen und weiß nicht, an wen ich mich sonst wenden soll. Ich bin schon einmal einem Engel begegnet und ich glaube, wir haben damals gemacht, was er von uns verlangt hat. Das war ein gutes Gefühl und ich würde gerne wieder so etwas tun. Mein Name ist Tiscio Canil und ich komme von der Küste im Westen, aber das wisst ihr vermutlich. Oder es ist euch hoffentlich egal. Also, ich bin hier und hoffe, dass ihr meine Bitte hört."
Damit begann Tiscio zu warten. Zuerst harrte er im Schrein aus, bis es dunkel wurde und er in einem Gasthaus ein Zimmer besorgte. Er war sich noch nicht sicher, wie lange er hier bleiben würde, aber wenn er sich eine Arbeit fand, wäre es auch nett, eine Weile nicht auf Wanderschaft zu sein.
Und so überbrückte er die nächsten Tage und verbrachte seine Abende im Schrein, wo er seine Gebete übte und jeden Ansprach, der auch nur Anzeichen machte, sich dem Schrein zu nähern.
Diese Routine änderte sich erst am siebten Tag, als Tiscio einen alten Mann bemerkte, der sich auf einen Stein lehnte und ihm zu lauschen schien. Er nickte dem jungen Sucher zu, sobald er ihn bemerkte. Tiscio lief rot an, weil er nicht zu leise in seiner Muttersprache gebetet hatte.
„Es fäll mir leichter, in meiner Muttersprache zu beten. Ich hoffe, es stört sie nicht“, sagte er schließlich, wohl gleichermaßen zu dem Mann wie zu sich selbst.
"Warum soll es mich stören? Wenn wir beten, verwenden wir oft genug Wort, die niemand mehr gebrauchen würde. Aber um was betest du? Wir alten können wohl nicht aus unserer Haut, aber ihr jungen Leute habt doch keinen Anlass mehr, an die Alten [Götter] zu glauben?"
Wie so viele junge Leute, die zu viel erlebt hatten, stieß sich Tiscio daran, dass man ihn für jung hielt. „Manchmal fühle ich mich älter als du“, dachte er bei sich. Laut sagte er jedoch: "Ich bete darum, dass ein Engel mir den Weg zu einer Frühlingskönigin zeigt." Er hatte die Worte inzwischen so oft ausgesprochen, dass sie ihm nicht mehr peinlich waren, eher ein wenig unwirklich.
"Ein Engel? Zur dieser neuen Göttin? Wie kommst du darauf? Wie soll das passen? Aber gleichwohl, hier wirst du keine Engel finden, wenn du sie überhaupt irgendwo finden wirst. Du solltest zu einem der großen Tempel gehen. Vielleicht sogar zu einem der dunklen Tempel, in denen noch die böse Macht der alten [Götter] wirkt. Seltsam, dass das verdorbene bleibt, das gute aber vergeht. Oder vielleicht solltest du es auch besser nicht tun." Der Mann hatte sich inzwischen Tiscio genähert und betrachtete ihn jetzt mit einem Schmunzeln.
"Können Sie mir sagen, wo ich einen der größeren Tempel finden kann?" Und nach kurzem Zögern: "Und auch, wo dieser dunkle Tempel liegt? Und warum ratet Ihr mir davon ab, was ist dort außer Vergangenheit?" Und wer sagte überhaupt, was böse war und was gut?
"Wie ich schon sagte, das Böse bleibt, wenn es erst einmal einen dunklen Ort gefunden hat. Und viel Dunkler als die verbotenen Tempel wird es nicht. Aber um alte Tempel zu finden sprichst du am besten mit einem Druiden."
Tiscio hatte schon einiges über Druiden gehört. Nichts Gutes. In Xpoch waren sie die Terroristen, die Anschläge auf Fabriken verursachten und blöde Plakate über den Kampf für eine saubere Umwelt aufhängten, die sofort wieder heruntergerissen wurden.
Dunkle Tempel passten daher gut zu ihnen.
Dann viel ihm jedoch ein, dass er sich vorgenommen hatte, keine voreiligen Schlüsse mehr zu ziehen. Schließlich hatte er noch nie einen Druiden getroffen und vor allem gab es hier keine Fabriken.
Er bedankte sich für den Hinweis und, nachdem ihm der Alte noch den Weg nach Osten zu einem Druiden namens Tuinman gewiesen hatte, fand er sich doch noch früher auf der Straße wieder, als er ursprünglich gedacht hatte.
In dem kleinen Ort namen Plaats war es nicht schwer, in zu finden. Er wohnte in einer kleinen Hütte mit einem großen Garten.
Und als er endlich eintraf, nachdem Tiscio einen halben Tag auf ihn gewartet hatte, stellte er sich als ein junger Mann heraus, ein paar Jahre älter als Tiscio, mit Strohhut, der seine speckigen, braunen Haare zurückhielt und gekleidet in der ortsüblichen bäuerlichen Kleidung.
„Oh, Hallo? Wartest du schon lange? Brauchst du ein paar Kräuter? Das Gras ist leider aus."
„Gras?“ Tiscio war sich nicht sicher, ob er das zurische Wort richtig verstanden hatte.
„Nein“, antwortete er mit einem irritierten Blick auf eine nahegelegene Lichtung. „Ich suche eine Frühlingskönigin oder einen Engel. Und man hat mir den Rat gegeben, an einem der alten Tempel zu suchen und dass du mir da eventuell weiterhelfen könntest."
"Uh, ‘schuldigung. Junge Leute kommen sonst ... naja, Schwamm drüber. Einen Tempel suchst du? Mit der Frühlingskönigin und Engeln bringst du mich ja ein wenig in einen Glaubenskonflikt. Ich meine, ich halte nicht so viel von ihnen, wobei die Frühlingskönigin, der ich begegnet bin, nicht so schlecht war. Naja, eigentlich war sie ziemlich cool für eine alte Frau, die an irgendeine göttliche Macht glaubt. Und soweit ist das ja von meinem eigenen Glauben nicht entfernt. Aber Engel sind die letzten Überbleibsel einer toten Religion. Oder mehrerer toter Religionen. Ich meine, die alten Druiden hatten auch ein paar Boten. Aber Tempel gibt’s‘ wie Sand am Meer. Was ich wirklich mal gerne sehen würde. Ich meine das Meer." Er holte Luft, während Tiscio überlegte, ob er immer so mitteilungsbedürftig war.
Zum Meer hatte er seine eigenen Gedanken: es war groß, leer und stank. Deswegen zuckte er nur mit den Schultern und stellte stattdessen seine Fragen: „Es soll hier einen dunklen Tempel geben, kannst du mir sagen, was daran dunkel sein soll? Wurden dort Blutrituale durchgeführt?"
„Dunkle Tempel? Höchstens, wenn sie zugewachsen sind, oder unter der Erde. Wenn du Tempel der [Götter] meinst, die tatsächlich Menschopfer verlangten: Ja, da gibt es was. Würde ich aber nicht empfehlen hinzugehen. Selbst als normaler Mensch merkt man schnell, dass man dort nicht willkommen ist. Warum nicht erst einmal einen Tempel der anderen ausprobieren? Die finden sich hier auch. Vielleicht nicht die städtischen Götter, aber ein paar naturverbundenere oder arkanere haben ihre Tempel jenseits der Städte gebaut."
„Kannst du mir den Weg zeigen?“
Und so fand er sich am nächsten Morgen in Begleitung Tuinmans auf dem Weg zum Tempel. Sie hatten den Abend über noch viel geredet. Der Druide stand dem gesamten Konzept einer unausgebildeten Frau, die auf ihre Art die Ordnung störte und nach einem halben Jahr nichts mehr mit der Geschichte zu tun haben wollte, etwa zwiespältig gegenüber. Obwohl sein eigenes Verhalten dem der Frühlingskönigin nicht ganz unähnlich war. Wie es schien, wollten die Menschen in Zur nicht mehr an [Götter] oder übernatürliche Mächte glauben, auch nicht an die Natur, der er diente. So hatte er sich mit der Zeit immer mehr darauf verlegt, einfach für die Menschen da zu sein und ihnen zu helfen, mit der kleinen Hoffnung, dass seine Taten sie überzeugen konnten, wenn seine Worte es schon nicht taten.
Die beiden redeten viel und Tiscio fühlte sich wohl in der Gesellschaft des Druiden. Tuinman vertraute ihm sogar an, dass er seinen Job manchmal wirklich verabscheute, weswegen er nicht verstehen konnte, warum Tiscio sich ohne Zwang in den Dienst der Frühlingskönigin stellen wollte. Er selber war nur in dieser Sackgasse gelandet, weil er von Kindheit an Geister gesehen hatte und der einzige, der ihm beibringen konnte, damit umzugehen, ein anderer Druide gewesen war. Tiscio hatte eine Ahnung davon, wie er sich gefühlt haben musste, denn Walde, eine Freundin in Xpoch, litt ebenfalls unter dieser „Gabe“. Trotzdem versuchte er seine Motivation zu erklären.
„Also eines weiß ich, ich habe mir das mit meiner Suche selbst gewählt, mit der Frühlingskönigin. Keiner glaubt daran, dass ich ein guter Priester sein könnte, glaub‘s ja selbst kaum. Weiß nur, dass ich was Sinnvolles mit meinem Leben anstellen will."
"Was bedeutet es denn, Priester der Frühlingskönigin zu sein? Ich meine, was sind da die Aufgaben?“
Tiscio hatte auf dieser Wanderschaft selbst schon oft über diese Frage nachgedacht und erzählte dem Druiden ganz einfach, was er in Xpoch gemacht hatte, als er Vilet vertreten hatte, und das es für ein gutes Gefühl war, dass die Leute ihm vertrauten und er ihnen mit seinem Beistand ein wenig helfen konnte. "Ob das Alles ist, was ein Priester kann weiß ich nicht, aber es würde mir vollauf genügen."
So ging das Gespräch von einem Thema zum nächsten. Was ein Druide machte, und was er lernen musste, was Engel waren, dass Sex ein guter Ausgleich gegen Stress sein konnte (was Tiscio kaum bestätigen konnte, da er nach seiner ersten Erfahrung eher ausgeknipst gewesen war), bis hin zur Zerstörung der Natur durch die Menschen, was Tiscio immerhin ein wenig mehr Verständnis für die militanten Druiden seiner Heimat brachte.

Am nächsten Morgen hatte der Regen aufgehört, was die Wege jedoch noch nicht trocken machte. Der Druide trieb Tiscio ein wenig an, der bei seinen Märschen eher dazu geneigt hatte, im Schritt der Metrowacht zu gehen, den man gut viele Stunden durchhalten konnte.
So erreichten sie schließlich den Ort, an dem der Tempel vor langer Zeit einmal die Gläubigen beherbergt hatte. Beleuchtet von einzelnen Sonnenstrahlen, die durch das Blätterdach krochen entdeckten sie das einst stolze Gebäude.
Viele der soliden Steinwände trugen noch immer Teile des Gebälks aber das Dach fehlte.
"Der Tempel war einer Göttin namens Ganala geweiht. Eigentlich sollte ich ihr vermutlich wohlgesonnen sein. Aber warum eine Göttin der Natur und des Wachstums einen Steintempel brauchte, kann ich einfach nicht verstehen."
Tiscio blickte sich um, aber der heilige Schauer, auf den er insgeheim gehofft hatte, blieb aus. Es war einmal ein schönes Gebäude gewesen, aber von schönen Gebäuden wimmelte es in Xpoch. Er besah sich die Ruine, hoffte Gravuren oder andere Hinweise zu finden, wie die Göttin angebetet worden war. Schließlich sah er etwas ratlos Tuinman an.
"Es sieht nicht so aus, als kämen häufig alte Anbeter hierher. Und hier könnte ich einen Engel herbeibitten?"
„Herbeibitten kannst du sie überall, aber wenn noch irgendein Funke von dem vorhanden ist, was diesen Ort einst heilig gemacht haben soll, dann ist vielleicht die Aussicht, dass jemand, der mit den alten Göttern verbunden war, an diesem Ort etwas größer."
„Gut“. Tis nickte und suchte sich einen Fleck, der ihn ansprach und angemessen zum Beten erschien. Er blendete Tuinmans Anwesenheit soweit wie möglich aus und schloss die Augen. Er begann um einen Engel zu bitten. Vielleicht war es ein Gebet, vielleicht war es auch nur ein flehen. Er war sich anschließend nicht einmal mehr sicher, ob er Worte verwendet, und wenn ja, ob er sie ausgesprochen hatte.
Nach einer Zeit, die sich nicht lang anfühlte und gewiss nicht der Dauer entsprach, die Tiscio veranschlagt hatte, um um einen Engel zu bitten, hörte er eine Stimme.
„Ehrlich? Engel?“
Tiscio wagte nicht, die Augen zu öffnen, zu groß war die Angst davor, einer alten Vettel ins Gesicht zu blicken, die ihn höhnisch von oben herab anblickte.
„Was spricht dagegen, sich an die Boten der alten [Götter] zu wenden, wenn man Hilfe benötigt?“
"Schon mal darüber nachgedacht, dass nicht alle Boten der alten [Götter] Engel waren, so wie du sie dir vorstellst?" Die Stimme klang weiblich, jung, aber etwas rau, fast verrucht, und sehr sarkastisch.
Immer noch mit geschlossenen Augen antwortete er: „Kannst du Gedanken lesen oder woher weißt du, was ich mir gerade vorstelle?“
Wahrscheinlich nicht eine alte Vettel, die seine Gedanken trotz der Stimme nicht verlassen wollte.
"Ich habe einen Engel in meinem Leben getroffen und er hatte verdammte Flügel. Das war beeindruckend. Ganz ehrlich? Ich stelle mir gerade eine alte Vettel vor."
Damit öffnete er die Augen.
In einer Ecke der Tempelruine entdeckte Tiscio eine Frau. Sie sah auf den ersten Blick jung aus, aber irgendetwas ließ Tis vermuten, dass sie es nicht war. Auf die gleiche Weise wirkte sie schön, aber dann doch wieder nicht. Sie war ein wenig zu schlank, ihre Wangenknochen zu scharf geschnitten, ihre Finger zu lang, ihre Zähne zu spitz. Ihre Haut hatte einen rötlichen Schimmer und Tiscio wusste, dass er solche wie sie schon auf den Straßen Xpochs gesehen hat. Dämonin war eines der Worte, die ihm zu ihr einfallen, Succubus vielleicht noch.
Sie lachte.
"Alt ... vielleicht. Vettel wohl nicht. Aber was spielt das für eine Rolle. Du hast um einen Boten der alten [Götter] gebetet. Die alten [Götter] sind lange fort und neue gibt es nicht, wenn man es genau nimmt. Aber ich war eine Botin der alten [Götter] und ich bin vermutlich das, was du suchst. Frühlingskönigin?"
Tiscio achtete darauf, den Abstand zu der Dämonin, oder was auch immer sie sein mochte, zu halten. "Ja, ich suche eine Frühlingskönigin. Kannst du mir bei meiner Suche helfen?"
"Das hast du deutlich genug gemacht mit deinen ganzen Gebeten. Zumindest, wenn man dem glaubt, was man so hört. Deswegen bin ich ja schließlich hier." Sie warf Tiscio einen scharfen, abschätzenden Blick zu. "Entspann dich mal. Ich tu dir nichts. Ich bin genauso eine Botin, wie der, dem du in Xpoch begegnet bist. Der Job ist allemal besser, als sich von Dämonenjägern abschlachten zu lassen. Aber um auf deine Frage zurückzukommen: Ja, ich kann deine Suche beschleunigen. Vorher musst du aber noch ein Artefakt für mich finden und es verwenden. Wenn du das tust, bringe ich dich direkt zur nächsten Frühlingskönigin."
Tiscio blickte sich nach dem Druiden um, der überraschenderweise noch kein Wort gesagt hatte, seitdem die [Dämonen] eingetroffen war.
„Wenn du deinen Freund suchst? Ich habe ihn weggeschickt. Überraschenderweise hat er mir geglaubt, dass ich dir nichts tun würde.“
Der junge Xpochler wollte eigentlich nachfragen, was sie tatsächlich mit Tuinman angestellt hatte, vermutete aber, dass sie nicht mehr verraten würde, als sie bereits getan hatte. Er seufzte.
„Was soll ich dir denn beschaffen? Warum du es nicht selbst finden kannst, brauche ich wohl nicht zu fragen, oder?“
"Oh, ich kann es schon selbst finden, aber ich finde, wir Boten werden zu wenig gewertschätzt. Außerdem ist der Gürtel für dich."
"Für mich? Wozu brauche ich ihn denn?"
"Um die Frühlingskönigin zu treffen."
„Fein,“ sagte er etwas säuerlich. Bisher hatte sie ihm allerdings noch keinen Grund gegeben, dass er ihr hätte Glauben schenken sollen.
"Welche Beweise hast du eigentlich, dass du ein Bote der alten [Götter] bist oder nicht nur eine Dämonin aus Xpoch, die mich verarschen will? Sagt dir der Versuchungstag etwas?" fragte er deswegen.
"Also erst mal habe ich nie gesagt, dass ich eine Botin der alten [Götter] bin. Ich bin eine Botin des Winterhirten Und das ist, was du finden wolltest. Und ich bin garantiert nicht aus Xpoch“, erwiderte sie mit einem Grinsen.
„Nicht aus Xpoch also …“ er legte den Kopf schief. „Wie alt bist du?“
„Lass mich dir einen ersten Ratschlag in Etiquette geben: Man fragt eine Frau nicht nach ihrem Alter. Aber weil es vermutlich in dir bohren wird, lass es mich so ausdrücken: Ich bin ein gutes Stück älter als du."
Jetzt musste Tiscio grinsen. "Schlechte Manieren hat man mir schon oft vorgeworfen. Tschuldige. Und es stört mich nicht, dass du älter bist als ich."
Einen Moment schwieg die Frau, bis sie aufstand und ins Licht trat. Tatsächlich stachen Flügel aus ihrem Rücken hervor. Anders als bei dem anderen Boten glichen diese jedoch eher denen einer Fledermaus und schienen viel zu klein zum Fliegen zu sein. Dass sie einigen weiblichen [Dämonen] in Xpoch glich, machte sie nicht vertrauenswürdiger.
„Ich habe auch nichts gegen jüngere Burschen", sagte sie lasziv, während sie auf ihn zukam. "Es gehört zwar nicht zu meinen Aufgaben, aber es ist mir auch nicht verboten, ein wenig Spaß zu haben."
Tiscio war sich nicht sicher, ob die Zunge, mit der sie sich sinnlich über die Lippen leckt, gespalten war.
Die Erinnerung an den Versuchungstag in Xpoch war allerdings noch zu präsent als dass er sich von ihr verführen lassen würde. Schließlich war dies der Tag, an dem es den [Dämonen] in Xpoch erlaubt war die Menschen, die sie auf der Straße antrafen oder die ihnen die Tür öffneten zu versuchen und ihnen die Seele zu rauben.
"Ne, lass mal sein, aber danke für das Angebot. Wie ist das denn nun mit diesem Gürtel? Wo kann ich ihn finden? Und wie kann er mir helfen?"
"Schade. Aber vielleicht später. Zum Gürtel müssen wir in die Berge. Ist ein bisschen Marsch und ich werde nicht die ganze Zeit bei dir sein können, weil ich auch noch andere Botengänge machen muss. Wollen wir uns aufmachen oder willst du noch was vorher erledigen?" Sie bot ihm ihre Hand, wie einem Kind, dem man über die Straße hilft.
„Ne, lass mal gut sein. Gehen kann ich schon noch alleine.“
Sie zuckte mit den Schultern und hüpfte mädchenhaft voran. So begann ihr Weg, manchmal gemeinsam. Aber oft genug gab sie ihm nur eine Richtung vor und verließ ihn, vor allem, wenn sie durch bewohnte Gegenden zogen. So war Tiscio öfter alleine als mit dieser Halbdämonen zusammen, was ihm im Grunde recht war. Sie gab ihm jedoch eine Pfeife, die fast genauso aussah, wie jene, die sie vor Jahren von Vliet erhalten hatten, um den Engel zu rufen.
Im Grunde musste er nur auf einen Berg zuhalten. Er traf ein paar andere Menschen, die auf den Wegen und Straßen unterwegs waren und ließ sich sogar einmal von einem Händler auf seinem Wagen mitnehmen. Auf diese Weise wurde der Weg nicht lang und er erreichte sein Ziel schneller als er gedacht hatte.
Als er an der Waldgrenze angelangt war, die ihm die Botin als nächsten Treffpunkt genannt hatte, blies er in die Pfeife und bereitete sich auf eine längere Wartezeit vor, indem er seinen Proviant auspackte.
Noch bevor er jedoch alles ausgebreitet hatte trat sie hinter einem Baum hervor.
"Na? hast du erwartet, dass ich aus der Erde hervorkrieche? Das ging ja schneller als gedacht. Gut so. Ich hatte schon Angst, dass ich mir noch was zu tun suchen müsste."
Tiscio antwortete ihr nicht direkt sondern hielt ihr eine Klappstulle entgegen. "Möchtest du auch was? Und wie soll ich dich eigentlich nennen?"
Sie griff lächelnd zu. "Danke, sehr nett. Und so lange du mich nicht Schlampe oder sowas nennst, ist alles gut. Aber mein Name ist Halshlane. Zumindest derzeit." Sie aß genüsslich die Stulle und leckte sich anschließend sinnlicher als notwendig gewesen wäre die Finger ab. "So. Wie gut bist du drauf? Traust du dir ein wenig Geprügel, ein paar gefährliche Klettereien und ein paar Fallen zu?"
„Das werde ich schon hinkriegen“; nuschelte Tiscio, während er auf seiner eigenen Stulle kaute.




Die Verbannten der Feldstrasse